Ich scheine alt zu werden. Im Vergleich zu den Jungdachsen in Jogginghose, die ich an Spieltagen vor mir in die Blöcke stürmen stehe, bin ich ungefähr doppelt so alt. Vielleicht erklärt dies meine Unfähigkeit, gewisse Sachverhalte nachvollziehen zu können. So auch den Trubel, der um das kommende Heimspiel gegen Darmstadt 98 veranstaltet wird. Ich verstehe, dass es zwischen beiden Vereinen eine Rivalität gibt und diese zum ersten Mal seit vielen Jahren auch wieder im Ligabetrieb ausgetragen werden kann. Rivalitäten sind okay, gar förderlich für die Attraktivität von vermeintlich drögen Bundesligaparteien. Auch kleinere Scharmützel und Sticheleien kann ich nachvollziehen, finde sie bisweilen sogar ganz lustig. Was mir jedoch aktuell etwas zu weit geht, sind die immer lauter werdenden Aufwiegelungen und Forderungen gewisser Gruppen. Zum Beispiel die, man müsse sich als Fan entscheiden. Entscheiden, ob man für die Eintracht oder Darmstadt ist. Dabei ist es doch irgendwie hinfällig, haben die im Stadion befindlichen Fans doch bereits ihre Entscheidung mit den Füßen getroffen, indem sie in die Arena der Eintracht und nicht nach Darmstadt gingen.
Klar, ich kann mich irgendwie in diese Situation hineinversetzen: Als Jugendlicher hätte ich wohl auch ein wenig grimmig dreingeschaut, wenn der Mensch neben mir lautstark anfängt zu jubeln, nachdem auf dem Videowürfel die Führung der Lilien gegen Gegner XY angezeigt wird. Aber aus diesem Grund Hass innerhalb der Gruppierung sähen? Menschen öffentlich diffamieren, wenn aus ihrem Mund ein kurzer Jubler kommt? Ich weiß ja nicht. Ich habe meine Entscheidung dahingehend getroffen. Und zwar schon vor vielen Jahren. Diese Wahl bestätige ich ca. alle zwei Wochen. Und trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen, einfach auch Fußballfan zu sein und Entwicklungen, insbesondere wenn sie entgegen den üblichen Prinzipien fernab des großen Geldes stattfinden, gut zu finden.
Noch mehr stören mich allerdings die Drohgebärden, die man dieser Tage so im Netz liest.
Ganz ehrlich Leute, Darmstadt vernichten? Auf dem Platz, in fußballerischer Hinsicht sehr gerne. Aber dabei sollte es auch bleiben. [Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass man in Zeiten fußballerischer Bedeutungslosigkeit offensichtlich keine andere Möglichkeit sieht, um sich selbst zu profilieren] Klar, kaum einer kann es verhindern, wenn sich mehrere Krawallbrüder gezielt verabreden, um sich im Wald eins auf die Nuss zu geben. Von mir aus, betrifft schließlich das Gros des Publikums nicht. Aber gerade im Hinblick auf die Geschehnisse der letzten Wochen verwundert es, dass verbal schon wieder mit harten Bandagen agiert wird. Ich will auch gar nicht zu sehr auf das Plakat eingehen, ist selbiges doch nur ein Beispiel für viele andere Drohungen, die aktuell – wohl gemerkt von beiden Seiten – ausgesprochen werden, aber generell bedrückt mich diese hasserfüllte Stimmung. Und das, obwohl – auf die Rivalität angesprochen – dir fast niemand den Grund für diese Feindschaft nennen kann.
“Jeder hat seine eigene Geschichte mit den Lilien” hört man, ohne jedoch näher darauf einzugehen. Das Stadionblättchen der NWK widmete sich der Thematik und auch bei einigen Darmstädtern wird der Ton immer rauer, wenn es um die Eintracht geht. Auch abseits des Böllenfalltores. Wegen des oben gezeigten Plakates ermittelt nun sogar die Staatsanwaltschaft, aber meines Erachtens wurde viel eher im Vorfeld verpasst, drohenden Spannungen mildernd entgegenzuwirken. Gemeinsame Aktionen, vielleicht ein demonstratives Treffen zweier Fanvertreter inklusive der Vereinspräsidenten, wären ein gutes Zeichen gewesen. Doch diese Chance wurde vertan, einige Verirrte übernahmen stattdessen die Wortführerschaft im Diskurs um das kommende Heimspiel.
Es liegt nun an der absoluten Mehrzahl der gemäßigten Fans beider Vereine, radikaleren Auswüchsen die kalte Schulter zu zeigen und das brisante Duell lediglich auf den Rängen lautstark zu begleiten. Dann kann aus dem Spiel zweier im Niemandsland der Tabelle befindlichen Teams trotz allem ein denkwürdiges werden.
Copyright Bilder: Vielen Dank an stadtkindFFM.
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